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Karfreitag: Präses Schneider predigt im Willibrordi-Dom

"Jesus Christus starb umsonst. Denn: es blieb alles beim Alten"

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mit diesen Worten aus dem Gedicht „Dem Revolutionär Jesus Christus zum Geburtstag“ von Erich Kästner begann die Predigt von Präses Nikolaus Schneider vor über 600 Gottesdienstbesuchern. Dem Gedicht von Erich Kästner stellte er ein Zitat aus dem Hebräerbrief gegenüber:

"Jesus Christus starb für uns Menschen und zu unserer Erlösung. Denn: Durch Christi Kreuzestod kam die Zeit der Gottesferne für uns Menschen grundsätzlich und endgültig an ihr Ende".

Die ganze Predigt:

Liebe Gemeinde!
Jesus Christus starb umsonst.
Denn: alles blieb beim Alten.
Zu diesem Schluss kommt Erich Kästner - wohl auch im Blick auf das Verhalten mancher Christinnen und Christen im nationalsozialistischen Unrechtsregime. So bedauert er in einem seiner Gedichte Jesus Christus wegen seines vergeblichen Opfers:
"Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens.
Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord, kurzerhand, beging.
Es war genau wie heute.
Die Menschen wurden nicht gescheit.
Am wenigstens die Christenheit,
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst. Und alles blieb
Beim Alten."
Ganz anders klingt es im Hebräerbrief:
Jesus Christus starb für uns Menschen und zu unserer Erlösung. Denn: Durch Christi Kreuzestod kam die Zeit der Gottesferne für uns Menschen grundsätzlich und endgültig an ihr Ende.
Zu diesem Schluss kommt der Hebräerbrief. Ihm ist der Predigttext für diesen Karfreitagsgottesdienst entnommen.
Ich lese die Verse 15 und 26b bis 28 aus dem 9. Kapitel:
"Und darum ist er (Jesus Christus) auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil."
Starb Jesus Christus umsonst? Hat sich die Welt durch seinen Tod wirklich nicht verändert? Blieb alles beim Alten? Oder ist das Leiden und Sterben des Gottessohnes notwendig und im Wortsinn "Not-wendend" für unser aller Leben, Leiden und Sterben? Diese Frage bewegte zu allen Zeiten das theologische Denken innerhalb und außerhalb der christlichen Kirchen.
Schon in den ersten christlichen Gemeinden wurde um den Sinn des Todes Jesu Christi gerungen. Wenn der Gekreuzigte wirklich der Messias war, warum hat er dann nicht durch sein Kreuz "ein für allemal" alles unschuldige Leiden und Sterben abgeschafft? Warum hat sein Opfertod dann nicht "ein für allemal" bewirkt, dass Gottes Macht die Welt von Henkern und Unterdrückern befreite?
In dem Kreuzestod Christi eine entscheidende Offenbarung von Gottes Kraft und Gottes Liebe zu erkennen, das fiel Menschen schon damals schwer.
Und das fällt uns Menschen heute schwer. Mit unserem Nachdenken werden wir nie fertig werden. Wir finden unsere Antworten nicht im Wiederholen dogmatischer Richtigkeiten. Aber auch nicht in vermeintlich "notwendigen Abschieden" von sperrigen biblischen Antworten. Unsere Antworten finden nur dann, wenn wir immer wieder neu nach der Botschaft des Evangeliums fragen und uns von Gottes Wort in Frage stellen lassen.
Der Hebräerbrief bemüht sich in besonders intensiver Weise um diese schwierige theologische Aufgabe. Drei Botschaften aus dem Predigttext sollen unser heutiges Nachdenken inspirieren:
1.    Durch sein Leiden und Sterben wird Christus zum Mittler eines neuen Bundes, in dem Gottes ewige Verheißungen für alle gelten.
2.    Durch sein Leiden und Sterben bewirkt Christus, woran jeder irdische Kult gescheitert ist: die grundsätzliche Erlösung der Menschen von der Sünde.
3.    Durch sein Leiden und Sterben wird Christus zum Heil für unsere Zukunft. Diese Zukunft verändert schon heute unsere Gegenwart.
Zum Ersten:
Durch sein Leiden und Sterben wird Christus zum Mittler eines neuen Bundes, in dem Gottes ewige Verheißungen für alle Menschen gelten.
So haben wir es gerade gehört: "Und darum ist Jesus Christus auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen."
Es geht dem Hebräerbrief nicht darum, Gottes Bundesbeziehung mit Israel außer Kraft zu setzen. Im Gegenteil: Auch der neue Bund - dessen Mittler Christus durch seinen Tod geworden ist - gilt zunächst dem Haus Israel. So heißt es in dem Kapitel vor unserem Predigttext von dem "neuen" Bund: "Denn das ist der Bund, den ich schließen will mit dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz geben in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein." (Hebräer 6, 10).
Durch seinen Tod erlöst Christus die Menschen seines Volkes aus ihrer Gottesferne. Zugleich aber öffnet er einen freien Zugang zu Gott auch für die Menschen aus allen anderen Völkern. In ihrer Bindung an Jesus Christus können alle Menschen sich als Kinder Gottes erkennen. In der Nachfolge Christi gehören so auch wir zu den "Berufenen, die das verheißene ewige Erbe empfangen."
Durch seinen Tod ist Christus der Mittler des neuen Bundes, in dem alle Menschen zu "Miterben Christi" (vgl. dazu auch Römer 8, 17) werden können. Durch Christi Tod sind auch wir erlöst und befreit aus unserer Gottferne. Wir können die alten Verheißungen neu hören und auf unser Leben, Leiden und Sterben beziehen.
Das sind Gottes ewig-gültige Verheißungen:
Gott will uns segnen durch sein Weggeleit an allen Tagen unseres Lebens.
Gott will, dass wir ein Segen sind - füreinander und für unsere Erde.
Gott will, dass wir dem Tod getrost ins Auge sehen können. Denn uns gilt seine Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen es keine Tränen, kein Leid und keinen Tod mehr geben wird.
Zum Zweiten:
Durch sein Leiden und Sterben bewirkt Christus, woran jeder irdische Kult gescheitert ist: Die grundsätzliche Erlösung der Menschen von der Sünde.
So haben wir es im Predigttext gehört: "Nun aber, am Ende der Welt, ist Christus ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben."
Der Hebräerbrief nimmt das kultische Geschehen des großen jüdischen Versöhnungstages "Jom Kippur" in den Blick und bezieht es auf den Kreuzestod Christi.
Am Versöhnungstag trat der Hohepriester durch eine Opfergabe mit Gott in Verbindung. Dabei wird das Opfern als ein Beziehungsgeschehen gedacht: Das hebräische Wort für "Opfer" ist verwandt mit dem hebräischen Wort für "nahe". Es geht um eine "Nahung" zwischen Mensch und Gott.
Die Nähe des Menschen zu Gott aber wird verhindert durch die Sünde.
"Die Sünde" meint im Hebräerbrief nicht eine bestimmte moralische Verfehlung. "Die Sünde" ist das grundsätzliche Verhängnis der Gottferne.
Zur Nahung des Menschen an Gott gehörte deshalb nicht nur eine priesterliche Opfergabe, sondern auch sein Sündenbekenntnis: Die Bereitschaft, seinen Lebensweg zu ändern und einen neuen Zugang zu Gott zu suchen. Und das musste jedes Jahr neu wiederholt werden.
Im Blick auf dieses kultische Geschehen deutet der Hebräerbrief Christus als den Hohenpriester, der das Opfer brachte, und zugleich als das hohepriesterliche Opfer, das gebracht wurde.
Christus, der auf Erden Erschienene und Gestorbene, sitzt jetzt im himmlischen Heiligtum als der himmlische Hohepriester zur Rechten Gottes. Sein Tod war das einmalige und unwiederholbare Opfer, das ein für allemal die menschliche Entfremdung von Gott mit all ihren verhängnisvollen Folgen aufhebt. Christi Tod ist der große Durchbruch für alle Menschen. Der Weg zu Gott ist offen und er bleibt offen. Wir brauchen keine anderen Opfer und vor allem keine Sündenböcke mehr, um uns Gott zu nahen.
Durch seinen Opfertod bewirkte Christus, woran jeder irdische Kult gescheitert ist und scheitern wird: Wir Menschen sind aus der absoluten Macht der Sünde und damit von dem Verhängnis der Gottferne befreit. Das Kreuz Christi nimmt uns hinein in die Segensmacht Gottes. In diesem Vertrauen ereignet sich auch für uns heute das "Ende" der Welt ohne Gottes Nähe und Weggeleit.
Und zum Dritten:
Durch sein Leiden und Sterben wird Christus zum Heil für unsere Zukunft. Diese Zukunft verändert schon heute unsere Gegenwart.
So haben wir es im Predigttext gehört: "Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil."
Zu allen Zeiten und an allen Orten sehnen sich Menschen nach einem Gott, der sie schon "hier und jetzt" rettet und erlöst: aus allen Unrecht- und Gewalterfahrungen, aus allem unverschuldeten Leiden, aus Krankheit, Schmerzen und Einsamkeit.
Sie sehnen sich nach einem Gott, der schon in unserer Gegenwart sichtbares Heil in der oft so unheilen Welt und in unserem oft so unheilen Leben bewirkt. Seine grenzenlose Macht und Herrlichkeit soll Gott doch bitte schon auf dieser Erde zeigen: Indem er Unrecht und Gewalt, Tod und Sterben verhindert und die Welt von allem Bösen befreit.
Hätte Jesu Tod einen solchen Gott sichtbar und erfahrbar gemacht: Erich Kästner hätte wohl gedichtet: Jesus, du Opferlamm des Lebens, starbst nicht umsonst. Denn alles wurde neu!
So aber ist es nicht.
Einen solchen Gott konnte der Hebräerbrief damals und können wir heute nicht bezeugen und verkündigen. Der Hebräerbrief bezeugt uns den einmaligen Tod Christi als die Erlösung von Sünden, nicht als die Erlösung aus allem Leiden. Das Heil, das schon hier und jetzt unser Leben bestimmt, liegt in der Gegenwart Gottes - nicht in der Gegenwart einer schuld- und irrtumsfreien Kirche.
Wir predigen das Heil der Gottesnähe, dem Menschen sich inmitten und trotz manch äußeren Unheils anvertrauen sollen.
Wir predigen einen Gott, der leidet und mitleidet.
Wir predigen ein Evangelium, das Menschen selig preist, wenn sie nach Gerechtigkeit hungern und dürsten und wenn sie um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.
Wir setzen nicht auf militärische Siege, politische Erfolge, wissenschaftlichen Fortschritt und materiellen Gewinn.
Wir setzen auf Gottes Sohn, der aus Liebe um uns Menschen willen sein Leben einmal geopfert hat. Den Gott nicht im Tod gelassen hat. Der wiederkommen wird. Allen, die auf ihn warten, zum Heil.
Deshalb geben wir die Zukunft unseres Lebens nicht preis:
•    wenn Menschen uns enttäuschen und unser Vertrauen missbrauchen;
•    wenn uns der Tod einen geliebten Menschen raubt und
•    wenn eine tückische Krankheit unser eigenes Leben bedroht.
Und deshalb geben wir die Zukunft unserer Welt nicht preis:
•    wenn Terror über Friedensarbeit obsiegt;
•    wenn Finanzkrisen Solidarität in Frage stellt und
•    wenn Gier den Zusammenhalt der Gesellschaften zerstört.
Christus ist die Zukunft unserer Welt und unseres Lebens. Diese Zukunft verändert schon heute unsere Gegenwart. Christus schenkt uns ein "Dennoch-Glauben", ein "Dennoch-Lieben" und ein "Dennoch-Hoffen". Christus ermutigt uns immer wieder neu zum Beten und Tun des Gerechten in unserem Leben und für unsere Welt.
Der Glaube an den lebendigen Herrn lässt auch am Karfreitag das Evangelium als eine frohe und froh machende Botschaft erklingen!
Denn es galt damals, vor 2000 Jahren, und es gilt heute: Jesus Christus starb nicht umsonst. Die Welt wurde verändert, wir werden verändert. Es blieb nicht alles beim Alten. Auch heute müssen wir nicht die Alten bleiben, auch heute bleibt die Welt nicht beim Alten.
Denn:
Jesus Christus starb für uns Menschen zur Erlösung.
Durch Christi Kreuzestod kommt die Zeit der Gottferne heute grundsätzlich und endgültig an ihr Ende.
So gelte uns allen der Segenswunsch von Hanns Dieter Hüsch:
"Möge der Herr uns weiterhin lehren
Das Kreuz als Krone zu tragen
Und darin nicht unsicher zu werden
Soll doch seine Liebe unsere Liebe sein.
Jeder soll es sehen und jeder soll nach Hause laufen
Und sagen: er habe Gottes Kinder gesehen
Und die seien ungebrochen freundlich
Und heiter gewesen
Weil die Zukunft Jesus heiße
Und weil die Liebe alles überwinde
Und Himmel und Erde eins wären
Und Leben und Tod sich vermählen
Und der Mensch ein neuer Mensch werde
Durch Jesus Christus."
Amen

{835_DSC_0495.JPG} Seit seiner Wahl zum Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland predigt Nikolaus Schneider an diesem Tag im Willibrordi-Dom. Diese Tradition endet in diesem Jahr, denn auf der Landessynode 2013 wird ein neuer Präses gewählt.